Osterode im Wandel der Jahrhunderte
Osterode im Mittelalter
Was wird die ersten Siedler bewogen haben, sich im 10. Jahrhundert im
Bereich der späteren Stadt Osterode niederzulassen? War es die verkehrsgünstige
Lage? Hier war es möglich, die noch ungezähmte Söse durch
eine Furt zu passieren. Lag es an der Nähe zum Harz, der schon in
damaliger Zeit mit seinen Bodenschätzen lockte und von hier aus gut
zu erreichen war? Zunächst im Bereich um die heutige St. Jacobi Schlosskirche
entstand ein Dorf mit einer Kapelle. Dass sich Kaiser Lothar III. im August
1136 mit seinem Hofstaat in Osterode aufhielt zeigt, welche stürmische
Entwicklung die Siedlung am Fuß des Harzes schon in den ersten Jahrzehnten
ihres Bestehens genommen hatte. Als "villa opulentissima" (=wohlhabende
Siedlung) bezeichnet eine Chronik das Dorf in dieser Zeit. Doch die Machthändel
der Fürsten, der Kampf um Einfluss, Land und Reichtümer ging
auch an dieser Dorfgemeinschaft nicht spurlos vorüber: 1152 wurde
Osterode im Zuge einer Fehde zwischen dem Welfen Heinrich dem Löwen
und dem Askanier Albrecht dem Bär in Schutt und Asche gelegt. Auch
die Besatzung der Burg oberhalb der Sösefurt konnte die Zerstörung
des Dorfes Osterode nicht verhindern.
Der Wiederaufbau der Osterodes erfolgte nicht am alten Siedlungsplatz,
sondern in der Talaue im Bereich der heutigen St. Aegidien Marktkirche.
Neben die Landwirtschaft, die über Jahrhunderte die Haupterwerbsquelle
der Bürger blieb, traten auch das Handwerk und der Handel als wichtige
Erwerbsquellen. Rasch wuchs die Siedlung, der schon Anfang des 13. Jahrhunderts
vom Herzog und Pfalzgraf Heinrich die Stadtrechte verliehen wurden. In
dieser Zeit entstand auch eine klösterliche Niederlassung im Bereich
der alten Jacobikirche; ein neuer Stadtteil die Neustadt wurde erbaut.
Der seit dem 13. Jahrhundert bestehende Ring der Stadtmauer konnte bis
1330 erweitert werden, um auch dem neuen Stadtviertel Schutz zu gewähren.
Die Marienvorstadt eine ehemals selbständige Siedlung und die
Johannisvorstadt auf dem gegenüberliegenden Söseufer lagen außerhalb
des Mauerringes. Neben dem Marktrecht und den Stadtrechten, die Selbstverwaltung
und eine eigene Gerichtsbarkeit gewährten, gelang es dem Stadtrat
auch, Zollrechte und Münzrechte zu erwerben. Im 15. Jahrhundert weisen
der Ankauf mehrerer Mühlen und der Erwerb des benachbarten Dorfes
Uehrde durch die Stadt auf die wirtschaftliche Stärke der Bürgerschaft
hin. Auch politisch wuchs das Selbstvertrauen der Bürger gegenüber
den welfischen Landesherren, so gab es eine eigene "Außenpolitik"
der Stadt, die im Beitritt zum Hansebund einen Höhepunkt fand. Eine
Lateinschule befand sich seit dieser Zeit in Obhut des Rates und der junge
Tilman Riemenschneider, dessen Vater als Münzmeister in Osterode tätig
war, verbrachte in dieser von Bürgersinn geprägten Stadt seine
Jugend.
Ein Mord macht Geschichte
Innerhalb der Einwohnerschaft kam es Ende des 15. Anfang des 16. Jahrhunderts
immer wieder zu Spannungen, die meist soziale Ursachen hatten. 1510 eskalierten
diese Auseinandersetzungen. Ein nichtiger Anlass genügte: War die
Ehefrau des Bürgermeisters fremdgegangen? Gerücht oder Wahrheit?
Bürgermeister Heiso Freienhagen ließ eines der Lästermäuler
eine Frau die zum Lager seiner Gegner gehörte - einsperren. Der
Zorn der Bürger war nicht mehr zu bändigen ein Aufstand zwang
Freienhagen zur Flucht aus der Stadt. Erst nachdem Herzog Philipp I. den
Bürgermeister unter seinen Schutz gestellt hatte, wagte sich dieser
wieder in die Stadt. Hier fiel er jedoch aufgebrachten Einwohnern in die
Hände, die das verhasste Stadtoberhaupt erschlugen. Der Herzog, unter
dessen Schutz Freienhagen gestanden hatte, hielt ein strenges Strafgericht:
Die Rädelsführer wurden verurteilt, städtisches Eigentum
beschlagnahmt, die Privilegien der Stadt aufgehoben und die Bürger
mussten als Sühneleistung den Bau eines Franziskanerklosters am Fuße
der Burg unterstützen. Die Streitigkeiten innerhalb der Bürgerschaft
konnte der Herzog zu seinem Vorteil ausnutzen: Die städtische Selbstverwaltung
wurde eingeschränkt, ein landesherrlicher Beamter überwachte
seitdem die Tätigkeit des Rates.
Die Reformation
Im April 1521 widerstand Luther auf dem Reichstag in Worms vor
Kaiser Karl V. und päpstlichen Gesandten allen Aufforderungen, seine
Lehren und Schriften zu widerrufen. Philipp I. von Braunschweig - Grubenhagen
nahm als Reichsfürst am Wormser Reichstag teil. Er war von Luthers
Auftreten tief beeindruckt und hat sich in dieser Zeit persönlich
für die lutherische Lehre entschieden. Jedoch konnte er sein Fürstentum
noch nicht gleich der lutherischen Lehre öffnen, da er politische
die Nachbarstaaten gehörten noch zum katholischen Lager und persönliche
Rücksichten sein Bruder Erich war Bischof nehmen musste. Erst
Mitte der 30er Jahre des 16. Jahrhunderts konnte daher die Reformation
auch im Fürstentum Grubenhagen und in der Stadt Osterode eingeführt
werden. Andreas Domeyer wie Luther ein ehemaliger Mönch, der nun
dem evangelischen Lager angehörte wurde 1537 vom Osteroder Stadtrat
zum Prediger an St. Aegidien berufen. Domeyer schuf eine neue Kirchenordnung
und setzte die Reformation in Osterode gegen den Widerstand einiger Vertreter
der alten Lehre durch. Das Osteroder St. Jacobikloster, das nach der Regel
der Zisterzienser lebte, wurde aufgelöst. Der Landesherr zog die Besitzungen
ein und ließ die Klostergebäude zum landesherrlichen Schloss
umbauen.
Feuer, Pest und Krieg
Feuer! Der Schreckensruf hallte am 1. September 1545 durch die mittelalterlichen
Gassen. Feuer! Die Menschen mussten hilflos zusehen, wie Osterode in
Schutt und Asche sank. Nur 40 Häuser im Bereich des Rollberges und
am westlichen Kornmarkt blieben vor dem Wüten der Flammen verschont.
Doch trotz dieser Katastrophe blieben die Bürger ihrer Stadt treu.
Sie bauten Osterode wieder auf und einige prächtige Gebäude
wie das Alte Rathaus und die Ratswaage entstanden in den Jahren nach
dem verheerenden Brand.
1596 starb mit Philipp II. die Osterode seit drei Jahrhunderten regierende
Familie der Grubenhagener Herzöge aus. Jahrzehntelange Erbstreitigkeiten
innerhalb des Welfenhauses folgten. Die Bürger wurden zum Spielball
fürstlicher Machtpolitik. Erst am Vorabend des 30jährigen Krieges
endete der Streit mit der Herausgabe des Fürstentums durch die Wolfenbüttler
Herzöge an die in Celle residierende Linie des Welfenhauses.
Unvorstellbar erscheinen uns heute die Belastungen und Nöte, denen
die Menschen im 30jährigen Krieg (1618 1648) ausgesetzt wurden.
Häufige Durchzüge von Truppen und marodierenden Banden, Einquartierungen,
Kriegsgräuel und Plünderungen hatten die Osteroder zu erdulden.
Hohe Kriegssteuern und der Kauf sogenannter Schutzbriefe ruinierten die
Finanzen der Stadt und ihrer Bürger. Zusätzlich forderten noch
Seuchen und Krankheiten zahlreiche Opfer. Allein in den Pestjahren 1625
1627 kamen über 1500 Osteroder um.
Tor zum Harz
Die Neubürgerlisten der Stadt zeigen, dass nach dem 30jährigen
Krieg die Einwohnerzahl Osterodes wieder deutlich anstieg. So lebten 1689
etwa 2500 Einwohner in Osterode. Die meisten Erwerbsfähigen arbeiteten
als Handwerker vor allem als Leineweber, Schneider, Schuhmacher und Gerber
oder als Ackerbürger in der Landwirtschaft. Auch das Braugewerbe
stellte einen bedeutenden Wirtschaftszweig dar. Daneben behielt Osterode
seine Rolle als Handelszentrum hier war insbesondere der Handel mit den
Bewohnern des Harzes von Bedeutung. Der mächtige Barockbau des Harzkornmagazins,
1719 1722 errichtet, unterstreicht, welche Bedeutung der Bergbau und
das Hüttenwesen auch für das Harzvorland hatten. Das englisch-hannoversche
Wappen am Kornmagazin erinnert daran, dass aus der in Hannover residierenden
Familie der Calenberger Herzöge, zu deren Herrschaftsbereich Osterode
seit 1665 gehörte, die englischen Könige hervorgingen. Die Personalunion
von hannoverschem Landesherren und englischen König bestand von 1714
bis 1837.
Von Handwerker und Fabrikanten
Nachdem die Folgen des Siebenjährigen Krieges (1756 1763), der
auch Osterode wieder Besetzungen durch feindliche Truppen brachte, überwunden
waren, begann schon Ende des 18. Jahrhunderts der Aufstieg Osterodes zu
einer der führenden Industriestädte im hannoverschen Staat. Aus
Handwerksbetrieben entwickelten sich Manufakturen. Die Wasserkräfte
des Mühlengrabens setzte man zum Betrieb moderner Maschinen ein, die
Arbeitsteilung führte zu einer Rationalisierung im Produktionsprozeß.
Insbesondere das traditionsreiche Gewerbe der Textilhandwerker spielte
eine führende Rolle bei der Umstellung von handwerklicher auf industrielle
Fertigungsmethoden.
Zu den Auswirkungen der napoleonischen Kriege gehörte auch 1807
die Gründung des Königreiches Westfalen, dem auch der Harzbereich
mit Osterode zugeschlagen wurde. Doch schon sechs Jahre später, nach
der Niederlage Napoleons in Russland, wurde der hannoversche Staat nunmehr
als Königreich - wieder hergestellt. Osterode wies Anfang des 19.
Jahrhunderts neben den zahlreiche Textilfabriken auch die bedeutende Bleiweißfabrik
der Familie Schachtrupp auf, deren Produkte international Absatz fanden.
Der Osteroder Aufruhr
Gerade in einer von erfolgreichen Unternehmen geprägten Stadt wie
Osterode wurde das Missverhältnis zwischen den Leistungen der Bürger
für den Staat einerseits und den politischen Einflussmöglichkeiten
der Bürger andererseits besonders deutlich. Im Januar 1831 bildeten
mutige Osteroder Bürger unter der Führung der Advokaten Dr. König
und Dr. Freitag einen Gemeinderat und forderten liberale Reformen. Die
Regierung in Hannover sah sich durch diesen "Osteroder Aufruhr" schon bedroht
und entsandte Truppen, die die Stadt besetzten. Die Wortführer der
Liberalen in Osterode verurteilte man zu langjährigen Zuchthausstrafen.
Auch wenn das Osteroder Aufbegehren gegen die Staatsallmacht und Fürstenwillkür
mit Gewalt unterdrückt wurde, hatten die beiden mutigen Osteroder
Advokaten mit ihrem Eintreten für Bürgerrechte Anteil an einer
Entwicklung, die zu einer freiheitlich-demokratischen Staatsordnung führte.
Industrie, Handel und Infrastruktur Das Gesicht der preußischen
Kreisstadt
Ab Mitte des 19. Jahrhunderts hielten zahlreiche Neuerungen in Osterode
Einzug: ein städtisches Krankenhaus (1849) wurde eingerichtet, eine
Gasanstalt (1870) nahm den Betrieb auf und im selben Jahr wurde die Stadt
an das Eisenbahnnetz angeschlossen. 1885 wurde Osterode, das 1866 wie der
gesamte hannoversche Staat von Preußen annektiert wurde, zum Sitz
der Landkreisverwaltung. Wenige Jahre später begann die Elektrifizierung
der Stadt. Die schmalspurige Kreisbahn nach Kreiensen wurde eröffnet.
Die Einwohnerzahl Osteroder stieg von 4537 im Jahr 1861 auf 7482
im Jahr 1905.
Mit dem 1. Weltkrieg (1914 1918) endete diese hoffnungsvolle Entwicklung
der Stadt. Die ersten Nachkriegsjahre waren von wirtschaftlichen Schwierigkeiten
und daraus resultierender sozialer Not geprägt. Die 1929 einsetzende
Weltwirtschaftskrise führte zum Zusammenbruch zahlreicher Unternehmen
in der Stadt. Arbeitslosigkeit und eine Radikalisierung im politischen
Bereich waren die Folgen. Auch der Bau der Sösetalsperre, die 1931
fertiggestellt wurde, brachte keine durchgreifende Besserung. Bis 1933
konnten die Nationalsozialisten auch in Osterode die Mehrheit erringen.
Die Jahre bis 1945 waren geprägt von Terror gegen Juden, Demokraten,
Behinderte und alle Menschen, die sich gegen das Regime stellten. Seit
Mitte der 30er Jahre wurde die Stadt zu einem Zentrum der Rüstungsindustrie
ausgebaut. Zahlreiche Gefangenen- und Zwangsarbeiterlager befanden sich
im Raum Osterode. Im April 1945 besetzten amerikanische Truppen die von
Brückensprengungen und einigen beschädigten Gebäuden abgesehen
weitgehend unzerstörte Stadt.
Flüchtlinge und Wirtschaftswunderjahre
Die Aufnahme und Integration der Flüchtlinge und Vertriebenen prägten
die Nachkriegszeit. Die Einwohnerzahl der Stadt wuchs von 9123 im Jahr
1939 auf 15642 im Jahr 1950. Die Währungsreform 1948 gab auch in Osterode
das Startsignal für den wirtschaftlichen Wiederaufstieg. Die Zeiten
des Wirtschaftswunders brachten auch den Osterodern beinahe Vollbeschäftigung.
Dem Arbeitskräftemangel wurde durch die Anwerbung von Ausländern
begegnet, die im Laufe der Jahre hier eine neue Heimat fanden. Ihre Kinder
und Enkel sind heute ein integrierter Teil der Osteroder Bevölkerung.
Schon in den 60er Jahren gerieten einzelne Branchen der Osteroder Wirtschaft
in erhebliche Schwierigkeiten. Insbesondere die Textilindustrie über
Generationen der wichtigste Arbeitgeber in der Stadt konnte sich nicht
mehr gegen die meist ausländische Konkurrenz behaupten und verschwand
völlig aus der Osteroder Gewerbelandschaft. Jedoch konnten auch neue
Branchen in der Stadt angesiedelt werden, so dass Osterode mit einer geänderten
Gewerbestruktur ein wichtiger Industriestandort blieb.
Mit der Verwaltungs- und Gebietsreform Anfang der 70er Jahre wurden
die umliegenden Orte in die Stadt Osterode eingemeindet und das Stadtgebiet
wesentlich vergrößert. Die Einwohnerzahl wuchs auf etwa 28 300
(Stand 2000). Begleitet wurde die Westintegration der Bundesrepublik von
einer zunehmenden Abschottung der DDR gegenüber Westdeutschland. Auch
den Osterodern gingen dadurch viele persönliche und wirtschaftliche
Bindungen verloren. Erst die glückliche Wende in der DDR und die damit
verbundene Grenzöffnung befreiten Osterode aus seiner Randlage im
Zonenrandgebiet und schufen neue Möglichkeiten für die Entwicklung
der Stadt.
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